POPCAMP - NEWS

Nicholas Müller im Interview
- Nicholas Müller war als Teilnehmer, Jury-Mitglied und Dozent beim PopCamp dabei. Wir freuen uns, ihn auch dieses Jahr als Dozent in der Arbeitsphase wieder zu sehen ...

und haben ihm vorher ein paar Fragen über ihn, seine Zeit beim PopCamp und seine Zukunftspläne gestellt.

Du warst mit Jupiter Jones 2005 im ersten PopCamp Jahrgang dabei. Gibt es einen Moment aus dieser Zeit, den du langfristig im Kopf behalten hast?

15 Jahre ist das her? Herrje! Zu diesem Zeitpunkt waren wir seit ca. drei Jahren eine Band und tourten schon einigermaßen regelmäßig, wenn auch bei verschwindend winzigen Gagen und in einem sehr fadenscheinigen Bulli, wir hatten Bock und wollten mehr daraus machen. Im PopCamp kamen wir uns dann zum ersten mal auf eine sehr angenehme Art und Weise professionell vor, weil wir so ausführlich an unseren Songs arbeiten konnten, unter anderem angeleitet von Michelle van Dyke und Moses Schneider, die uns natürlich beide ein Begriff waren. Ich glaube, dass es für unseren Gitarristen Sascha auch echt eine Initialzündung war, mit Michael von Rothkirch und Oliver Heinz über die administrativen Seiten des Musikgeschäfts zu sprechen, als er kurz darauf echt erfolgreich das Management unserer Band übernahm und das auch bis zuletzt innehatte. Mit Michael und Oli arbeite ich auch heute noch zusammen, wenn es um Rechtsfragen geht. Dann weiß ich noch, dass es mich gefreut hat, mit Velvet June eine reine Frauenband und mit EinsHoch6 und Cyminology auch echt abgefahrene Crossover-Geschichten in den Reihen der Teilnehmer*innen zu haben. Da wurde gleich in der ersten Durchführung des PopCamps bewiesen, dass es nicht um festgefahrene Halbherzigkeiten gehen soll.

 

10 Jahre später, 2015 warst du wieder dabei - und zwar als Dozent. Und auch dieses Jahr dürfen wir dich wieder als solcher begrüßen. Du bist dem PopCamp also schon seit Jahren treu. Was konntest du als Teilnehmer und als Dozent daraus mitnehmen?

Wie ich schon oben schrieb, eine ganze Menge. Aber neben all dem Know How und den tollen Kontakten, habe ich auch eine echt produktive Demut gelernt. Es ist nicht richtig, immer gleich das Wort des „Älteren“ als gegeben zu nehmen. Man sollte stets kritisch hinterfragen, auch wenn’s im Rahmen einer Fördermaßnahme stattfindet. Nur, weil jemand schon seit Jahrzehnten seinen Job macht, muss er noch lange nicht das Allwissen und die Lösung für deine Baustellen parat haben. Ich wünsche mir diesen Diskurs immer, wenn ich mit anderen Künstler*innen zusammenarbeite. Dass es aber wunderbar und wichtig sein kann, sich überhaupt für derartige Tipps und Anregungen zu öffnen, das weiß ich spätestens seit dem PopCamp. Gerade dann, wenn es von Künstler*innen kommt, die mit dem eigenen Genre so gar nichts zu tun haben. Meine Hybris stand mir damals oft genug im Weg, wenn mir irgendsoein dahergelaufener Popper seine Meinung zu meiner Musik sagen wollte. Jahre später hatten wir dann unseren größten Erfolg mit einem lupenreinen Popsong, für den wir uns immer noch nicht schämen müssen. Ich weiß, wo das herkommt. Es ist selten eine schlechte Idee, über den berühmten Tellerrand zu blicken. Beim PopCamp ist das Teil des Konzepts und somit ein absolut natürlich wachsender Prozess, dem sich Bands wie Coaches offen stellen.

 

Die letzten Jahre waren sehr ereignisreich: Du hast ein Buch geschrieben, in dem du sehr offen über deine Angststörungen redest und so vielen Menschen, die davon ebenfalls betroffen sind, Mut machen konntest. Auch musikalisch hast du dich an neues gewagt und das Projekt „Von Brücken“ gestartet. Und eigentlich wolltest du jetzt gerade auf Tour sein mit deinem Programm „Zum Sterben zu viel“, die jetzt Corona-bedingt verschoben wurde. Bezüglich deiner aktuellsten Tour: Das Thema klingt an und für sich ganz schön düster - was möchtest du damit deinen Zuhörer*innen übermitteln?

Im Pressetext zur Tour schrieb ich folgendes: „Ein Themenabend zum wirklich einzigen Thema, das uns alle angeht.“ Ich habe tierische Angst vor dem Tod. Er ist mein Erzfeind und mein Endgegner und ich stelle es mir wahnsinnig schwierig vor, damit meinen Frieden zu machen, wenn ich dann irgendwann angezählt bin. Deswegen möchte ich mich gerne schon jetzt ausführlich damit beschäftigen, ohne mich daran zu gewöhnen. Und weil’s eben ein so universelles Thema ist, von dem sich wirklich niemand freimachen kann - zumindest in letzter Konsequenz nicht - möchte ich das gerne mit all den Jemanden da draußen teilen. Ein kollektiver Gedanke an den Schnitter quasi, der ihm Raum schafft, um ihn feierlich auszuladen. Auch, um dem Gedanken daran den Schrecken zu nehmen, mag es auch immer nur kurzfristig sein. So schaffe ich mir kleine Inseln positiver Konnotation. Ein hochgradig egoistisches Unterfangen eigentlich. (Ich hab mir aber sagen lassen, dass es allen ganz gut gefallen hat und bei den Anwesenden ähnlich gewirkt hat, wie bei mir. Alles gut also!)

 

Machst du überhaupt gerne Pläne für die Zukunft, bzw. hast du für dich selbst schon welche oder gehst du lieber spontan an Sachen heran?

Eigentlich hasse ich es, zu planen. Ich kann das auch gar nicht gut und steh mir oft genug selbst dabei im Weg. Meine besten Ideen sind spontan und einigermaßen unstrukturiert. Ich freue mich dann, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die richtig gut im strukturieren und sortieren sind. Dann wieder bin ich seit mittlerweile 6 Jahren Vater einer wirklich wunderbaren Tochter und habe darüber gelernt, dass es auch irgendwie gar nicht so schlecht ist, ein wenig Sicherheit zu haben. Ich kann mich halt nicht wirklich nicht von dem Gedanken schocken assen, im nächsten Jahr wieder in einer Fünfer-WG am Hansaring zu wohnen, dafür aber meinen Traumjob in den Tag wolkenschlossen zu dürfen, weil ich ja eigentlich eh nur für mich selbst verantwortlich bin. Ich bin’s nämlich nicht. Da hängt das absolute Vertrauen, dass alles gut wird und damit die Zukunft meiner Tochter dran. Dennoch könnte ich mir keinen anderen Job vorstellen, ich gehe ihn jetzt nur mit ein wenig mehr System und Zukunftsplanung an. Macht aber trotzdem noch Bock. Dementsprechend: Klar habe ich Pläne! Im nächsten Jahr geht’s los!

 

Im PopCamp bist du als Dozent besonders für das Thema Songwriting zuständig. Wie gehst du bei deinen Texten ans Songwriting heran? Hast du spezielle Techniken oder einen bestimmten Platz, an dem du gerne schreibst oder kommen Ideen spontan?

Früher dachte ich immer, ich könnte am besten in fahrenden, vollbesetzten Zügen schreiben. Weil es da nie wirklich ruhig ist und so viele verschiedene Geschichten neben, vor und hinter dir sitzen. Mag sein, dass das mal stimmte, aber mittlerweile schreibe ich am besten im Studio, bei laufendem Playback, im Liegen. Du findest mich also in der Regel auf dem Rücken, auf irgendeinem Teppich, wenn ich gerade an meinen oder den Songs anderer Künstler*innen arbeite. Ich führe eine Art lyrischen Notizzettel, auf dem ich immer einzelne Sätze notiere, die mir wertvoll erscheinen und bediene mich dann an diesen Sätzen, um darauf einen ganzen Text aufzubauen. Außerdem steh ich sehr auf Assoziationskarten, wenn gerade mal kein schlauer Satz und keine einleuchtenden Ideen parat stehen. Texten ist für mich eine unheimlich emotionale Wissenschaft. Ich würde niemals für ein nicht beachtetes Dogma einen Text kippen, aber ich analysiere jeden Satz und beleuchte ihn von allen Seiten, bis ich ihn mir selbst und jeder*jedem erklären kann, worum es mir geht. Ich denke immer gleich in Reimen. Das mag tierisch nerven und umständlich sein, in vielen Momenten, mir gibt es aber ein klares Bild von der Qualität des Textes. Außerdem kann ich stundenlang über Texte nachdenken und dementsprechend auch stundenlang darüber sprechen, aber das spare ich mir mal für den Bedarfsfall im PopCamp. ;)

 

Was möchtest du Menschen, die ebenfalls unter seelischen Beschwerden leiden, gerne mit auf den Weg geben?

Das ist viel einfacher, als oft gedacht und gehandelt wird: Schämt euch nicht, verleugnet euch und euer Leiden nicht und lasst euch helfen. Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Niemand sucht sich seine Krankheiten aus und selbst dann, wenn einer Depression oder einer tüchtigen Angst beispielsweise ein Drogenkonsum vorausgegangen ist, dann gab es ja auch dafür Gründe, die man meist mit irgendeiner Facette des Menschseins klar begründen kann. Demnach ist dort nichts zu verurteilen, weder bei sich selbst, noch bei den Mitmenschen. Wir müssen viel mehr aufeinander achten, das ist uns eigentlich gegeben, wird nur viel zu oft vergessen. Menschen mit seelischen Leiden stellen in ihrer Vulnerabilität so oft einen klaren, wenngleich sicher auch oft verstörenden Spiegel all dessen dar, was auf der Welt einfach nicht richtig läuft. Wollen wir also was gegen dieses Leiden tun, müssen wir bei uns selbst anfangen, wollen wir sie verstehen, gilt dasselbe. Und das gilt für Betroffene, wie Nichtbetroffene. Und all das würde ich eigentlich unter „Normalität“ zusammenfassen, obwohl oder vielleicht gerade, weil es so verrückt ist. Dafür sollte sich niemand schämen müssen.

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, unsere Fragen zu beantworten. Wir sehen uns auf der Arbeitsphase!